Gina Rosati – Auracle (Jugendbuch-Rezension)
Liebe Leser.
Astralreisen, was genau ist das eigentlich? Der zweite Begriff dafür, außerkörperliche Erfahrungen, erklärt denke ich schon alles. Es soll Menschen geben, die die Fähigkeit besitzen, ihren Geist aus dem Körper zu lösen und sich von selbigem unabhängig von Zeit und Raum fortbewegen zu können. Forscher beschäftigen sich mit diesem Phänomen, das sich in Form der Wiedergeburt auch in verschiedenen Religionen wiederfindet. Um eben diese Fähigkeit, seinen Körper willentlich verlassen zu können und an Orte zu reisen, die ein normaler Mensch entweder nur zu Fuß, per Schiff, mit dem Flugzeug oder schlichtweg gar nicht erreichen kann, geht es in »Auracle – Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe« von Gina Rosati aus dem Bloomoon Verlag. Über 100 Blogger haben sich für dieses Buch bei Blog dein Buch beworben, die Resonanz war so überwältigend, dass sich der Verlag entschied, jedem Bewerber ein Exemplar zukommen zu lassen! Wahrlich eine große Überraschung und ich möchte sowohl Bloomoon als auch Blog dein Buch meinen Dank aussprechen, dass ich diese 368 Seiten lesen durfte.
Ein Körper, zwei Seelen, aber Liebe?
Die 16jährige Anna ist ein besonderer Teenager. Sie besitzt die Fähigkeit, willentlich ihren Körper zu verlassen und macht sich gerne einen Spaß daraus, zu entlegensten Orten zu reisen, seien es nun fernen Galaxien oder die Insel Hawaii „gleich um die Ecke“. Nur ein Mensch in ihrem Leben weiß davon seid ihrer Kindheit Bescheid: ihr bester Freund Rei. Rei macht sich stets Sorgen, wenn das magisch-mystische Auramädchen, wie er sie liebevoll tituliert, wieder einmal mit hoher Geschwindigkeit durch den Äther rast, doch Anna beschwichtigt ihren besten Freund jedes Mal aufs Neue. Eines Tages geschieht ein furchtbarer Unfall, und ihre dabei tödlich verunglückte Klassenkameradin Taylor besetzt Annas Körper. Anna ist gefangen in ihrer Dimension, unfähig, selbstständig in ihren Körper zurückzukehren. Nur Rei kann ihr helfen, doch die Situation spitzt sich immer mehr zu!
Grün, mystisch, effektvoll
»Auracle« trägt in der deutschen Covergestaltung des Bloomoon Verlags ein smaragdgrünes Gewand, das Motiv wurde von der englischen, in blau gehaltenen Ausgabe übernommen und ist wahrlich ein Eyecatcher. Ein junges Mädchen in einem weißen Kleid, ins Licht blickend, sie schwebt über dem Erdboden – die Szene wirkt verschwommen, wie durch grünes Glas betrachtet, in der Ferne ist ein Wasserfall zu erkennen. Die außerkörperliche Dimension ist eindrucksvoll kreativ dargestellt worden und wäre mir in der Buchhandlung mit großer Sicherheit sofort aufgefallen.
Auffällig ist – mal wieder – dass es in Deutschland wohl einfach nicht möglich ist, den Titel eines Buches einfach so stehen zu lassen. Das Wort „Auracle“ besitzt eine imposante, mystische Macht, welche durch die Untertitelung seines deutungsvollen Klanges beraubt wird.
Erfrischend anderes Thema, aber…
Astralreisen, außerkörperliche Erfahrung – welch ein Potential! Welch ein spannendes, mystisches, erfrischend anderes Thema! Der Klappentext klang sehr verheißungsvoll, machte mich neugierig und veranlasste mich schließlich auch dazu, mich für das Buch zu bewerben. Endlich mal eine neue Idee, jetzt musste es nur noch spannend umgesetzt sein. Leider haperte es genau an dieser Stelle. Dabei gefiel mir der Einstieg in die Geschichte wirklich gut, denn es ging sofort zur Sache. Anna befindet sich in der Schule, die Unterrichtsstunde ist quälend langweilig und wie bei einigen ihrer Mitschüler ist auch ihr Kopf auf die Tischplatte gesunken. Doch Anna hält kein Nickerchen, sie löst sich gerade von ihrem Körper, schwebt über der Klasse und entzieht der Umgebung Energie für ihre bevorstehende Reise nach Hawaii. Ja, richtig gelesen: dort bricht so eben ein Vulkan aus und dieses spektakuläre Ereignis kann sich das magisch-mystische Auramädchen doch nicht entgehen lassen! Klingt spannend, oder? Genauso empfand ich auch, es hatte mich gepackt. Was würde mich nun erwarten, zu welchen Orten würde mich Anna nun mitnehmen?
Ich strecke mich aus – nicht meinen physischen Körper, sondern das, was jetzt in meinen Körper zurückgekehrt ist. Die Religion lehrt uns, dass jeder Mensch eine Seele hat, einen Geist, ein Chi. Die Wissenschaft bringt uns bei, dass alles im Universum aus Materie oder Energie besteht. Ich glaube, beide Theorien stimmen, und ich beeile mich, um alles wieder zu vereinen. – Seite 11
Die ersten rund 100 bis 150 Seiten schaffte es die Autorin, mich in ihren Bann zu ziehen, in eine mir fremde Welt voller Mystik – in eine andere Dimension. Anna ist ein normaler Teenager, wirkt trotz ihrer Begabung nicht überheblich oder arrogant, ganz im Gegenteil zu ihrer Gegenspielerin Taylor. Sie ist das freundliche Mädchen von nebenan, hat ein relativ gutes Verhältnis zu ihrer Mutter – einer vielbeschäftigten Geschäftsfrau – während die Bindung zu ihrem Vater auf Eiswürfeltemperatur vor sich hinfriert. Seit dieser einen schweren Unfall hatte und dem Alkoholgenuss verfallen ist, nimmt er seine Umgebung nur noch über den Rand seines stets mit Hochprozentigem gefüllten Glases wahr.
„Wir sind wie Yin und Yang, Anna“, sagte er zu mir. „ich bin das Lied und du der Tanz.“ – Seite 56
Nachdem ich nun ausführlich über die Möglichkeiten Annas gelesen habe und erfreut darüber war, dass der Spannungsbogen durchaus auf einem stabilen Niveau gehalten wurde, kam langsam aber stetig der Abstieg. Der eigentliche Knackpunkt des Plots – der Tod ihrer Klassenkameradin Taylor – schwang die Story zunächst zum tragischen Höhepunkt empor, doch die nachfolgende Handlung zog sich mehr und mehr in die Länge. Stellenweise musste ich wirklich kämpfen, um das Buch nicht gelangweilt zur Seite zu legen. Es riss mich einfach nicht mehr mit sich, und das, obwohl der Plot an sich spannende Erwartungen schürte : Die Suche nach einer Möglichkeit, zurück in ihren Körper zu gelangen, nachdem sie von der verstorbenen Taylor aus eben jenem ausgesperrt wurde und diese sich einen Spaß daraus macht, ihr „neues Zuhause“ auf alle erdenkliche Weise zu verschönern – oder sollte ich misshandeln schreiben? Tattoos, Piercings an den verschiedensten Körperstellen – Racheengel Taylor lässt nichts aus, um Anna zu demütigen und ihr klar zu machen, wer am längeren Hebel sitzt. Das ist schon wahrlich fies und sorgt auch für den einen oder anderen Unterhaltungswert. Doch das mystische Feeling war plötzlich verschwunden. Als hätte jemand den sprichwörtlichen Stecker gezogen. Die Besonderheit der Hintergrundidee wurde fallen gelassen und ersetzt durch eine wilde Verfolgungsjagd, welche nicht so recht Spannung erzeugen wollte. Auch die Auflösung dieser Situation war vorhersehbar, da die Autorin sich nicht getraut hat, dem Ganzen eine besondere oder überraschende Note zu verleihen.
Abwechslungsreiche Charakterzeichnung
Identifikationspotential tragen im Grunde alle Figuren in sich, zugegeben mehr für die Zielgruppe als für mich. Kontrastreiche, sehr ausführlich und farbig dargestellte Charaktere boten mir während des Lesens genügend Abwechslung und sorgten für den einen oder anderen Schmunzler. Wir haben es hier mit einer Außenseiterin mit ungewöhnlichem Outfit, einer reichen, verwöhnten Einserschülerin in Highheels und künstlichen Fingernägeln sowie einem sanften, ebenfalls begabten jungen Mann mit Faible für fernöstliche Meditation und Körperkultur zu tun, in welchen man sich einfach verlieben muss. Liebe, das ist das Stichwort. Auch in »Auracle« deutet sich eine zarte Lovestory an, die aber weit hinter meinen Erwartungen zurückbleibt. Immerhin trägt das Buch den Untertitel »Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe«, dahingehend hatte ich mir mehr Intensität erhofft. Die Liebesgeschichte flötet eher wie eine Hintergrundmelodie in largo vor sich hin, als ob die Violinen ihren Einsatz verpasst hätten. Ich muss aber auch zugeben, dass die gefühlvollen Elemente eine gelungene Abwechslung zum Rest des doch eher düsteren Plots bilden. Auch der Schreibstil in der Ich-Perspektive trägt viel zur Gesamtstimmung bei, stimmig und eloquent trägt er uns durch die Geschichte.
Die Autorin beschreibt die Welt in der außerkörperlichen Dimension mit blumigen Worten, lässt die Natur pulsieren und verschiedenfarbige Auren um Bäume und lebendige Wesen strömen. Diese mystische Atmosphäre hat sie sehr gelungen eingefangen. Farben stehen für verschiedenste Emotionen, für Kälte im Geiste und Wärme im Herzen, für Traurigkeit der Seele und Wut in der Faust. Wie ein Fingerabdruck lässt sich auch die Gesinnung und der Gemütszustand eines Wesens anhand dieser Farben bestimmen. Spannendes Detail und ein Pluspunkt für »Auracle«!
Wenn ich jemanden ein paar Mal berührt habe, kann ich mir den Rhythmus seines Energiemusters merken. Es ist wie das Schlagzeug in einem Lied. Alle Menschen hinterlassen ein leises Echo. – Seite 94
Gina Rosati schließt diese Geschichte mit einem Ende ab, das keine Fragen offen lässt. Cliffhanger braucht man also in »Auracle« nicht zu fürchten, da die Handlung in sich abgeschlossen ist und man allerhöchstens nun spekulieren könnte, wie Anna ihre außerkörperlichen Erfahrungen in Zukunft gestalten könnte. Ob sie das Wagnis, ihren Körper zu verlassen, erneut eingehen wird und wie sie ihre Fähigkeiten nutzen würde, die mit Sicherheit nicht nur dem Vergnügen dienlich sein könnten.
Gina Rosati | Auracle – Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe
Bloomoon Verlag | 5.2.2013 | ab 14 Jahren
Hardcover, 368 Seiten | 978-3-7607-8907-1 | 16.99€ (NP)
Buch nur noch gebraucht erhältlich (daher keine Coverabbildung)
Mein Fazit: Ein unterhaltsames Jugendbuch mit einer Prise Mystik und einem von der Grundidee erfrischend neuen Thema, das in der Umsetzung ein wenig schwächelt, dennoch aber durchaus für tolle Lesestunden sorgen kann. Empfehlenswerte Lektüre für alle Freunde des Geheimnisvollen und Thriller-Fans, die ein etwas anderes, kurzweiliges Lesevergnügen erleben möchten!